Key-Takeaways
- Das erklärte Ziel von Elon Musk lautet, Twitter zur „Everything App“ zu machen. Also zur App, über die User:innen einen Großteil ihres digitalen Lebens organisieren können.
- Mit dem Ausbau zum Zahlungsdienstleister treibt Twitter diese Entwicklung derzeit massiv voran.
- Neben etablierten Tools für den E-Commerce kommen spannende Zeiten auf Influencer:innen und den Social Commerce zu.
Eines muss man Elon Musk lassen: Er hat ein Händchen für griffige Claims. Wenn er das, was Twitter in seinen Augen werden soll, als „Everything App“ bezeichnet, hat er den kürzesten möglichen Begriff dafür gefunden: eine App, über die man wesentliche Aspekte seines Lebens verwalten kann. Einkaufen, Geld überweisen, Reisen buchen, Taxis anfordern – Nachrichten zu verschicken, wird da fast schon zur Nebensache. Es gibt Vorbilder dafür. Super-Apps sind vor allem in Asien sehr verbreitet, bekanntestes Beispiel ist wohl das chinesische WeChat.
Eine zentrale Voraussetzung für die „Everything App“ ist die Anerkennung als Zahlungsdienstleister. Twitter hat die ersten Schritte in diese Richtung bereits gesetzt. Musk ließ bereits im November 2022 aufhorchen, als im Zuge der Übernahme bekannt wurde, dass sich die Kryptobörse Binance mit 500 Millionen US-Dollar daran beteiligt hatte. Das chinesische Unternehmen ist die größte Kryptobörse der Welt, und schon damals spekulierten viele Insider, dass Twitter sich in diese Richtung entwickeln wolle.
Auf dem Weg zum Zahlungsdienstleister
Die ersten Schritte erfolgten aber bereits früher. Schon 2021 tauchte auf dem Nachrichtendienst plötzlich ein „Shop“-Button auf. Der Button war nur für eine begrenzte Testgruppe sichtbar, doch Twitter Revenue Lead Bruce Falck bestätigte damals, dass Twitter damit beginne, „Wege zu erkunden, wie wir den Handel auf Twitter besser unterstützen können".
Wenige Monate vor Musks Einstieg verkündete Twitter im Juni 2022 eine strategische Partnerschaft mit Shopify: ein klarer Schritt in Richtung Social Commerce. Für Händler in den USA stand im App Store von Shopify und über die Shopify-Verwaltung eine neue App zur Verfügung, über die man beide Welten verbinden kann. Dabei kommt es zu einer automatischen Synchronisation des Inventars: Veränderungen im Shopify-Katalog spiegeln sich auch im Twitter Shopping Manager.
Wie die Geschichte weiterging, ist bekannt. Angesichts Elon Musks erratischen Verhaltens gerieten andere Aspekte in den Vordergrund – nicht zuletzt die umstrittene Umbenennung auf „X“ – und verdrängten Fragen von E-Commerce und Social Commerce.
Gezielter Ausbau in den USA
Bis zuletzt. Denn im vergangenen Sommer wurde bekannt, dass Twitter in drei Bundesstaaten der USA Lizenzen für Geldtransfer erhalten hatte. In Michigan, Missouri und New Hampshire sind also Direktzahlungen über die App möglich – ein wesentlicher Schritt in Richtung „Everything App“. Und dabei ist es nicht geblieben: Im April 2024 erhielt Twitter die entsprechende Lizenz in 25 US-Bundesstaaten. Musk hat kürzlich zudem angedeutet, dass Kalifornien und New York folgen sollen – was die entsprechende Reichweite enorm erhöhen würde.
Neue Möglichkeiten der Monetarisierung
Was wie ein juristisches Detail klingt, hätte tatsächlich enorme Auswirkungen auf jede Art von Content Creators, allen voran Influencer:innen. Eine erfolgreiche Symbiose von Social Media und Finanz-Tools würde für sie völlig neue Möglichkeiten der Monetarisierung bedeuten.
Fun Fact am Rande: Während eine ähnliche Entwicklung bei den großen asiatischen Portalen längst erfolgt ist, sind die westlichen Apps hier durchaus zögerlich. YouTube oder Instagram ermöglichen Social Commerce – bei Snapchat war das ebenso, bis Snap die entsprechende Funktion 2018 wieder einstellte.
Wovon sprechen wir eigentlich?
Die Chancen, die sich auf Twitter demnächst zu ergeben scheinen, betreffen alle Arten von Handel. Zur Sicherheit ein paar Definitionen:
Was versteht man unter E-Commerce?
Der Begriff E-Commerce wird meist mit Online-Shopping-Funktionen gleichgesetzt, also Kauf und Verkauf via Internet. Genau genommen, zählen dazu aber auch Bereiche wie das Online Banking. Mit dem Aufblühen der Social Media sind weitere Formen des E-Commerce aufgetaucht, die vor allem in den jungen Zielgruppen eine rasante Entwicklung genommen haben.
Und was ist Social Commerce?
Social Commerce ist die Fusion von E-Commerce und Social Media. Im Unterschied zum klassischen E-Commerce – also dem finalen Kauf in Webshops – findet hier allerdings die komplette Customer Journey ausschließlich auf der Social-Media-Plattform statt: Vom ersten Kontakt zwischen Käufer:innen und Brand bis zur Transaktion geschieht alles ohne Medienbruch im Sozialen Netzwerk. Im Zentrum stehen dabei, wie immer auf den Social Media, Unterhaltung und der Aufbau von Vertrauen – die wichtigsten Hebel für erfolgreichen Social Commerce.
Was ist der Unterschied zu Social Selling und Social Shopping?
Auch im Social Selling steht der Aufbau einer Beziehung zu den User:innen im Mittelpunkt – der Verkauf selbst geschieht allerdings nicht in den Social Media, sondern im virtuellen oder physischen Shop. Social Commerce ist gleichermaßen beziehungs- wie verkaufsorientiert. Beim Social Selling hingegen steht der zweite Aspekt eher im Hintergrund.
Social Shopping bezeichnet ein gemeinsames Shopping-Erlebnis im Freundeskreis. Dazu gehören zum Beispiel Shopping Communities, Social-Shopping-Marketplaces oder auch Empfehlungs-Engines.
Starke E-Commerce-Tools
Doch zurück zu Twitter: Die Idee der App für alles kann auf einigen etablierten E-Commerce-Funktionen aufbauen:
- Twitter Shops bieten Unternehmen die Möglichkeit, bis zu 50 Produkte aus ihren eigenen Webshops zu präsentieren. Der direkte Kauf über die App ist (noch) nicht möglich – über Checkout gelangen die Kund:innen zum Webshop des Händlers.
- Shop Spotlight: Ein Carousel zwigt fünf Produkte aus dem Twitter Shop, und die Interessierten User:innen können auf die Produkte tippen, um mehr zu erfahren.
- Live Shopping ist auch auf Twitter die Simulation des klassischen Einkaufserlebnisses in der echten Welt: Schlendern, Gustieren, Auswählen, Produktinformationen einholen und den Verkäufer:innen Fragen stellen.
- Product Drops: Über die Drops können Brands ihre Produkte anteasern, bevor sie auf den Markt kommen. Das schürt einerseits die Lust der Konsument:innen auf das Kommende und ist gleichzeitig ein feiner Rückkanal: Wer das Interesse der unterschiedlichen User:innen-Gruppen analysiert, erhält wertvolle Hinweise für künftiges Marketing rund um das gezeigte Produkt.
Welche Zielgruppe nutzt Twitter?
Sollte Twitter wie erwartet Influencer:innen und anderen Creators neue Möglichkeiten der Monetarisierung eröffnen, tut sich für Brands ein grandioses Potenzial auf.
- Derzeit sind mehr als 500 Millionen Menschen monatlich auf Twitter aktiv. 200 Millionen Menschen nutzen Twitter täglich.
- Der Altersschnitt liegt zwischen 25 und 34 Jahren, die User:innen sind also jung, aber nicht so jung wie auf Plattformen wie TikTok. Die Mehrheit der auf Twitter Aktiven sind Männer.
- Fast zwei Drittel der User:innen – sie alle potenzielle Kunden und Kundinnen – folgen mindestens einem Influencer oder einer Influencerin.
- Rund zwei Drittel der B2B-orientierten Unternehmen setzen den Kurznachrichtendienst in ihrer digitalen Marketing-Strategie ein.
Und die Influencer:innen? Zwei Aspekte, die du beachten solltest
Influencer Marketing funktioniert auf allen Plattformen ähnlich. Aber eben nicht gleich. Wenn du deine Brand auf Twitter pushen willst, solltest du zwei Dinge im Hinterkopf behalten.
1. Die Micro Influencer:innen sind die (heimlichen) Stars
Si erreichen keine Rekord-Reichweiten. Aber sie lösen Engagement Rates aus, welche die „großen“ Influencer:innen erblassen lassen: Micro Influencer:innen sind auch auf Twitter die oft unerkannten und sträflich unterschätzten Stars. Ihre Besonderheit: Sie haben in ihrer Followerschaft hohe Credibility. User:innen, die ihnen folgen, erkennen ihre hohe Kompetenz in einem sehr spezifischen Themenbereich. Sie agieren also in einer Nische, sind für Brands, die in dieser Nische reüssieren wollen, extrem wertvoll.
2. Influencer:innen auf Twitter sind oft … anders
Twitter ist ein Medium des Diskurses, der Argumente. Und auch des Streits. Der Ton auf Twitter ist nicht immer freundlich – Influencer:innen, die hier Bedeutung haben, sind dementsprechend hart im Nehmen. Sie sind witzig, manchmal angriffig, oft rhetorisch hervorragend. Der Umkehrschluss: Influencer Marketing auf Twitter ist meist nicht so glatt, so marketinggetrieben wie auf anderen Portalen. Lasst sie also von der Leine – und lasst ihre Kreativität wirken!
Fazit
Elon Musk – und damit Twitter – ist schwer berechenbar. Der Weg zur „Everything App“ ist aber wohl vorgezeichnet und wird mit aller Kraft vorangetrieben. Und damit werden sich in naher Zukunft völlig neue Möglichkeiten für E-Commerce, aber auch für Social Commerce ergeben. Es lohnt sich, diese Entwicklung sehr genau zu verfolgen
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