Wie hat sich die Regulierung des Influencer Marketings in Deutschland entwickelt, nachdem sich der Markt nun sehr professionalisiert hat?
Mit dem Aufschwung des Influencer-Marketings haben sich natürlich auch viele Fragen zu den rechtlichen Rahmenbedingungen ergeben. Im Jahr 2019 wurde zum Beispiel Pamela Reif (9,24 Mio. Follower auf Instagram) verurteilt, weil sie gesponserte Beiträge nicht korrekt gekennzeichnet und die Verbraucher getäuscht haben soll. Dieses Urteil sorgte für eine Menge Verunsicherung bei Kreativen, aber auch Marken. Mit erheblichen Konsequenzen: Kreativen mussten im Grunde alles taggen, was mit einer Erwähnung einer Marke zu tun hatte. Selbst wenn es unbezahlt war, sie das Produkt selbst gekauft hatten oder nur eine neue Jacke zeigten, die sie gekauft hatten, wurde alles mit #Ad getaggt.
Immerhin wurde die Situation Im Jahr 2022 durch ein neues Urteil geklärt. Das besagt, dass du es nur dann als Werbung kennzeichnen musst, wenn du eine Zahlung oder eine andere Art von Entschädigung erhältst, wie zum Beispiel Veranstaltungen oder Geschenke.
Hatte es negative Auswirkungen auf die Kampagnen, wenn Inhalte als Werbung gekennzeichnet wurden?
Damals, im Jahr 2019, waren wir sehr besorgt darüber, ob wir einen Umsatzrückgang erleben würden.Es war besser, so transparent wie möglich zu sein. Die Auswirkungen auf das Publikumkamen etwas später, nicht nur wegen der Kennzeichnung der Werbung, sondern auch wegen der Aggressivität der Werbung selbst. Auf dem Markt gab es viele Reibungen. Wir haben sehr aggressiv geworben, und jeder auf dem Markt hat im Grunde das Gleiche getan. Das trug zum vermeintlichen Niedergang des Influencer Marketings bei. Eher war es kein Niedergang, sondern ein Wandel hin zu einem Influencer Marketing, das weniger werblich war und mehr auf wertschöpfende Inhalte setzte. Vielleicht war es eine Kombination aus beidem, aber es lag nicht nur an der Kennzeichnung von Beiträgen als Werbung.
Wie gut ist das deutsche Werberecht an Influencer Marketing angepasst?
Es gibt immer noch eine Menge Ungewissheiten. Das jüngste heiße Thema waren die Musiklizenzbestimmungen. Da rollte eine Welle an Abmahnungen auf die Kreativen zu. Carmen Kroll (@carmushka, 1,15 Mio. Follower auf Instagram) hat ein Video darüber gemacht, dass sie eine Abmahnung mit einem möglichen Bußgeld von 100.000,- Euro wegen der Musik erhalten hat, die sie aus dem Bestand der Plattformen verwendet hat. Es handelte sich um ein Missverständnis, weil die Kreativen die Musikbibliotheken von Instagram oder TikTok nutzten, aber nicht wussten, dass sie die Musik der Bibliotheken nicht für Werbezwecke verwenden durften. Dafür mussten sie nämlich eine Lizenz erwerben. Aus Markensicht hatte sich niemand richtig mit dem Problem befasst. Das führte zu vielen n Unsicherheiten und ist noch immer nicht ganz gelöst.
Betreffen die Unsicherheiten alle Influencer:innen gleichermaßen?
Am meisten Pech haben dabei die Micro-Influencer:innen, weil sie kein Management haben, das damit umgehen kann. Es gibt sehr gute Kreativmanager:innen in Deutschland, die wissen, wie sie ihre Kreativen schützen können. Aber die kleineren Anbieter sind diejenigen, die wahrscheinlich mit hohen Geldstrafen rechnen müssen.
Wie sieht es mit Influencer:innen aus, die für bestimmte Produktkategorien wie Schönheitsoperationen werben?
Es gibt eine Menge Body Shaming. Es gibt viele Probleme mit der psychischen Gesundheit, die angesprochen werden müssen. Wir alle wissen, dass die sozialen Medien einen großen Einfluss auf die psychische Gesundheit haben, besonders bei jungen Menschen. Es ist sehr wichtig, dass sie geschützt werden. Ich habe Fälle gesehen, in denen Creators für Gewinnspiele geworben haben, bei denen man kosmetische Behandlungen in der Türkei gewinnen konnte. Das muss aufhören. Das ist für mich ein wichtiges Warnsignal und etwas, das wir wirklich regulieren müssen.
Sprechen viele Leute in der Branche über die Notwendigkeit einer Regulierung in diesem Bereich?
Ich glaube nicht, dass es viele Meinungsführer:innen gibt, die darüber sprechen. In meinem eigenen Unternehmen unterstützen wir diese Art von Werbekampagnen definitiv nicht. Aber das ist etwas, worüber die gesamte Branche sprechen und diskutieren sollte. Bei Tabak und Alkohol sind alle einer Meinung, aber ich denke, dass die Schönheitschirurgie ähnliche negative Auswirkungen hat.
Wie sieht es mit der Frage aus, ob Kreative ihre Kinder in gesponserten Inhalten verwenden?
Wenn es um Werbeinhalte geht, habe ich noch nie erlebt, dass der oder die Kreative selbst seine Kinder tatsächlich mit einbezieht. Aber es stellt sich die Frage, wo wir die Grenze ziehen. Sie zeigen ihre Kinder in ihrem Alltag, aber wenn es sich um eine Werbung handelt, sagen sie, dass sie sie nicht einbeziehen wollen. Das ist völlig in Ordnung. Ich würde sie nie dazu auffordern. Aber wenn wir klassisches Marketing betrachten, ist das Privatleben der Kinder geschützt und wenn du sie in einer Werbung zeigen willst, haben sie Rechte und werden bezahlt. In den Social Media werden sie zwar nicht in die Zusammenarbeit einbezogen, aber sie werden sonst durchaus gezeigt.
Deutet diese Einstellung zu Kindern in Werbeinhalten auf ein allgemein gutes Bewusstsein für Werbevorschriften hin?
Ich glaube, sie versuchen einfach, sehr vorsichtig zu sein, denn alles, was mit Kindern und Mutterschaft zu tun hat, ist in Deutschland ein sehr sensibles Thema. Das hat eine Menge Shitstorm-Potenzial. Was auch immer sie zeigen, sie werden so oder so kritisiert werden. Es gibt nie einen richtigen Weg, denn die Deutschen sind sehr kritisch, wenn es um Werbung geht.
Wie reagierst du auf die Kolsquare-Studie, die zeigt, dass 75 % der gesponserten Beiträge in Deutschland richtig gekennzeichnet sind?
Ich bin überrascht, dass es nur 75 % sind, denn die Verwirrung, die wir zwischen 2019 und 2022 erlebten, bedeutete eben, dass wir absolut alles gekennzeichnet haben.Die Leute wollen keine Abmahnungen und Klagen erhalten. Große Urheber, die von einem Management vertreten werden, sind sicher, zuwissen, was zu tun ist. Ich würde vermuten, dass die 25%, die das tun, wahrscheinlich Micros sind, die nicht das Wissen oder den Schutz haben.
Wie muss sich deiner Meinung nach die Regulierung des Influencer Marketings in Deutschland weiterentwickeln?
Wir fangen nicht bei Null an, was aus Sicht der Marke, des Unternehmens und der Branche gut ist. Ich glaube, wir sind sehr vorsichtig, damit wir uns nicht selbst überregulieren. Das ist es nämlich, wozu die Deutschen neigen. Die Regulierung von Influencer Marketing ist etwas, bei dem die Leute eher sagen: "Lassen wir es so, wie es ist".
Ich bin ein großer Fan des europäischen KI-Gesetzes. Es wird in den nächsten Jahren sehr wichtig werden, denn mit KI-generierten Inhalten sind wir schon jetzt jeden Tag konfrontiert. Nimm den kühnen Glamour-Filter, der auf TikTok viral ging: Er optimiert dein gesamtes Gesicht so, dass du nicht einmal mehr erkennen kannst, dass es nicht echt ist. Wenn einer deiner Lieblings-Creator-Influencer diese Art von Filter verwendet und du als junge Frau denkst: "Hey, das ist der Schönheitsstandard", welche Auswirkungen hat das auf die psychische Gesundheit, das Selbstwertgefühl und das Body Shaming? Das ist etwas, wovor wir die jüngeren Generationen auf TikTok wirklich schützen müssen.